Mittwoch 26 Mai 2021, 17:00

"Ein Kuss für zwanzig Cent" – Die Anfänge des neuseeländischen Frauenfussballs

  • Das neuseeländische Frauen-Nationalteam absolvierte 1975 das erste Spiel

  • Die damalige Spielführerin Barbara Cox erzählte FIFA.com von den Herausforderungen in der Frühzeit

  • Die Spielerinnen waren gezwungen, selbst Geld aufzutreiben

Wenn 2023 die FIFA Frauen-Weltmeisterschaft™ in Down Under beginnt, wird seit dem ersten Länderspiel einer neuseeländischen Frauen-Nationalmannschaft fast ein halbes Jahrhundert vergangen sein. Das Team debütierte 1975 bei der ersten Auflage des Turniers, aus dem später der AFC Asien-Pokal der Frauen wurde.

Die Aussage, dass sich der Frauenfussball in Neuseeland seit den Anfangszeiten dramatisch verändert hat, wäre eine enorme Untertreibung.

Eine Einladung der asiatischen Frauenfussballkonföderaton brachte die damals drei aktiven Frauenfussballverbände im Land – Auckland, Wellington und Canterbury – dazu, in aller Eile den neuseeländischen Frauenfussballverband zu gründen.

"Unsere erste Aufgabe bestand darin, irgendwie das Geld zusammenzubekommen", erzählte Barbara Cox, die erste Spielführerin Neuseelands, gegenüber FIFA.com.

"Eine Methode bestand darin, in den Pub zu gehen und einen Kuss für 20 Cent anzubieten. Man konnte auch mit einer Spendenbüchse die Straße rauf- und runterlaufen und die Menschen direkt ansprechen, ob sie bitte etwas Geld spenden würden. Vier von uns waren tatsächlich so unterwegs und haben etwas Geld zusammengebracht."

"Es gab damals nicht sonderlich viele Möglichkeiten, Geld aufzutreiben. Daher haben wir auch Autos gewaschen. Die Regierung steuerte auch ein bisschen bei, und jede von uns musste 100 Dollar aus der eigenen Tasche bezahlen."

"Nach unserer Ankunft in Hongkong ging ich zunächst los, um Fussballschuhe zu kaufen. Die Hersteller dachten damals nicht im Traum daran, dass auch Frauen spielten. Wenn man kleine Füße hatte, musste man mit Kinderschuhen spielen. Wir mussten also die ganze Zeit in brandneuen Schuhen spielen, was man heutzutage niemals tun würde."

Dass der Frauenfussball damals noch ganz am Anfang stand wird an der Tatsache deutlich, dass Cox erst zwei Jahre vor ihrem Debüt im Nationalteam mit dem Fussball begonnen hatte.

Kulturelle Barrieren

Die Neuseeländerinnen holten trotzdem vier Siege in vier Spielen, die damals jeweils 60 Minuten dauerten. Die Kiwis gewannen das Turnier mit einem Abschlusssieg gegen Thailand, nachdem sie sich im Halbfinale gegen Australien durchgesetzt hatten.

"Wir hatten beeindruckende Publicity, als wir zurückkamen. Am Flughafen warteten Presse, Radio und TV." Es gab verdiente Anerkennung für die Leistungen des Teams, aber auch herablassende Schlagzeilen wie "Bräute am Ball" oder "Fussball wird Weibersache".

Nach dem Erfolg von Hongkong wurde 1976 ein einwöchiger nationaler Wettbewerb ausgespielt. Schon bald hatte jede Region einen eigenen Frauenverband gegründet. Allerdings mussten verschiedene Hürden überwunden werden.

"Wir hatten immer wieder Probleme, Zugang zu den Plätzen zu bekommen. Oftmals mussten wir auf Schulsportplätzen spielen", erinnert sich Cox. "Man kam immer schon umgezogen zum Spiel, weil man nie wusste, welche Anlagen man vorfinden würde."

"Ein weiteres Problem war, dass viele Klubs einfach keine Frauen akzeptierten. Es gab viele Männer, die unbedingt verhindern wollten, dass wir in ihr "Revier" eindrangen. Oder man dachte, wir würden uns verletzen. Und natürlich gab es auch viele Kommentare nach dem Motto, "Ihr solltet ohnehin nicht spielen, weil das nicht ladylike ist."

"Aber es gab auch viele Männer, die uns halfen. Das war unbezahlbar, denn natürlich gab es damals keine Frauen, die Erfahrung als Trainerinnen hatten. Das war schon ziemlich bizarr. Auf der einen Seite Männer, die uns wirklich helfen wollten und auf der anderen solche, die uns nicht in ihrer Nähe haben wollten."

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Familienbande

Barbaras Ehemann Roy, der in seiner Jugend für Brentford und Queens Park Rangers gespielt hatte, half beim Aufbau des ersten Frauenteams bei seinem Klub Mt Eden in Auckland. Die beiden Töchter Michele und Tara spielten ebenfalls für Neuseeland.

Die beiden Schwestern trugen 1987 sogar gemeinsam die neuseeländischen Farben, wahrscheinlich als erstes Geschwisterpaar der Welt. Die beiden ergänzten sich in einigen Spielen für Neuseeland in der Innenverteidigung perfekt.

"Michele war eine viel bessere Spielerin als ich, mit viel besserer Technik. Als wir erstmals im Klub zusammen spielten, vergaß ich mich kurz und rief ihr zu: "Los, Mäuschen, pass den Ball zu mir.' "

Cox freut sich schon sehr auf die einzigartige Perspektive einer FIFA Frauen-Weltmeisterschaft™ im eigenen Land.

"Die FIFA U-17-Frauen-Weltmeisterschaft 2008 in Neuseeland veränderte die Auffassung der Leute – meist Männer - die erkannten, dass junge Frauen wirklich gut spielen können. Ich bin sicher, dass man 2023 geradezu schockiert sein wird, wie hoch das Niveau mittlerweile ist."

"Heute ist es ganz normal, dass Frauen Fussball spielen. Es hat ziemlich lange gedauert, doch ich denke, die Weltmeisterschaft wird das noch einmal auf ein anderes Niveau bringen. Ich wäre nicht überrascht, wenn nach dieser Weltmeisterschaft deutlich mehr Geld in den Frauensport fließt, in Australien und auch in Neuseeland."

"Ich habe schon immer gesagt, dass Frauen ebenso gut wie Männer spielen können - bloß eben nicht ganz so schnell und nicht ganz so kraftvoll. Als Sport-Soziologin war mir das schon immer klar. Wir hatten eben früher keinen Zugang zu erstklassigen Trainern, erstklassigem körperlichen und mentalen Training. Heute trainieren Frauen auf die gleiche Weise wie Männer – und man sieht ja, welche Früchte das trägt."